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Über die Probleme der Skeptiker

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Warnung: in diesem Artikel werde ich Ansichten kundtun, die einigen Skeptikern sauer aufstoßen könnten. Mit großer Wahrscheinlichkeit werde ich mich unbeliebt machen. Wer sich fragt, wieso ich bisher keiner skeptischen Organisation beigetreten bin, möge weiterlesen. Wer sich leicht auf den Schlips getreten fühlt, eher nicht.

Jemand, der sich als Skeptiker bezeichnet, erhebt das Zweifeln zur Tugend. Er glaubt nicht „jeden Scheiß“, sondern fordert Belege für die Annahmen, die ihm präsentiert werden. Hitchens Razor fasst das ganz gut zusammen: „What can be asserted without evidence can be dismissed without evidence” – die Beweispflicht liegt also bei demjenigen, der eine Behauptung aufstellt. Auf diese Weise lehnt der Skeptiker beispielsweise Homöopathie ab: es gibt keinerlei Belege für die Wirksamkeit und die der Homöopathie zugrunde liegenden Prinzipien. Betrand Russels Teekanne[1] bringt es auf den Punkt: eine Behauptung muß falsifizierbar sein, um im wissenschaftlichen Diskurs auch nur entfernt Bestand zu haben.

[1] „Wenn ich behaupten würde, dass es zwischen Erde und Mars eine Teekanne aus Porzellan gebe, welche auf einer elliptischen Bahn um die Sonne kreise, so würde niemand meine Behauptung widerlegen können, vorausgesetzt, ich würde vorsichtshalber hinzufügen, dass diese Kanne zu klein sei, um selbst von unseren leistungsfähigsten Teleskopen entdeckt werden zu können. Aber wenn ich nun zudem auf dem Standpunkt beharrte, meine unwiderlegbare Behauptung zu bezweifeln sei eine unerträgliche Anmaßung menschlicher Vernunft, dann könnte man zu Recht meinen, ich würde Unsinn erzählen. Wenn jedoch in antiken Büchern die Existenz einer solchen Teekanne bekräftigt würde, dies jeden Sonntag als heilige Wahrheit gelehrt und in die Köpfe der Kinder in der Schule eingeimpft würde, dann würde das Anzweifeln ihrer Existenz zu einem Zeichen von Exzentrik werden. Es würde dem Zweifler in einem aufgeklärten Zeitalter die Aufmerksamkeit eines Psychiaters einbringen oder die eines Inquisitors in früherer Zeit.“ – Bertrand Russel, 1952

Russels Teekanne ist freilich eine Religionsanalogie. Sie lässt sich jedoch erweitern auf Ideen wie die Homöopathie: die Informationsübertragung an Wasser durch Potenzieren ist nicht belegbar, ebenso wenig kann man sie widerlegen. Die Idee ist metaphysisch und nicht greifbar. Zieht man dann noch Ockhams Rasiermesser hinzu [2], verbietet sich dem Skeptiker jegliche Annahme, die auch nur teilweise im Reich der Metaphysik beheimatet ist. Natürlich gibt es Phänomene, die wissenschaftlich noch nicht erklärbar sind, doch werden sich auch diese mit großer Wahrscheinlichkeit mit Hilfe potenziell falsifizierbarer Modelle erklären lassen.


Nun ist aber die Idee eines Gottes eine ganz und gar metaphysische, die, wie Russel es so schön darlegt, niemals widerlegbar sein wird – und bisher auch einen eklatanten Mangel an positiver Evidenz erkennen lässt. Ein wahrer Skeptiker muß also auch immer ein Atheist sein, oder, wie Richard Dawkins es ausdrückt, rein theoretisch ein Agnostiker, aber de facto ein Atheist, der sein Leben so lebt, als gebe es keinen Gott (bei sehr, sehr kleiner Restwahrscheinlichkeit für dessen Existenz, die jeder Mensch, der beispielsweise im Wissenschaftsbetrieb mit Zahlen arbeitet, als absolut vernachlässigbar erachten würde). Dennoch gibt es Gläubige unter den Skeptikern – und die Appeasement-Politik der Gruppierung verbietet (fatalerweise) eine öffentliche Äußerung gegen die abstrusen metaphysischen Behauptungen der Geistlichen sowie die daraus erwachsenden Forderungen und Gräueltaten. Ein wahrer Skeptiker ist – per Definition! – auch immer ein Atheist. Es sei denn, die Angst vor dem Tod / der Wunsch nach der auffangenden Hand Gottes / das Verlangen nach einer sinngebenden Instanz / … fördern eine Art Doppeldenk zu Tage, welcher plötzlich genau diejenigen Argumente aufkeimen lässt, die Skeptiker bei Alternativmedizin-Aficionados so verachten: die Anekdote („Aber das Gebet hat meiner Tante bei ihrer Krebserkrankung geholfen!“), die persönliche Erfahrung („Ich habe Gott einfach gespürt!“) oder den Vorwurf der Engstirnigkeit („Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde…“).
Ich würde einer Skeptikerorganisation beitreten, die sich entschieden gegen religiöse Verrücktheiten ausspricht und nicht zurückzuckt, als hätte sie eine heiße Herdplatte berührt, wenn es darum geht, Religion und das dadurch entstandene Leid auch im Lichte der wissenschaftstheoretischen Inkonsistenz zu verurteilen.

[2] Vereinfacht: Von mehreren möglichen Erklärungen desselben Sachverhalts ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen.
Eine Theorie ist einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält, die in klaren logischen Beziehungen zueinander stehen, aus denen der zu erklärende Sachverhalt logisch folgt.

Das nächste große Problem der Skeptiker sind die Frauen. Die kommende Skepkon werde ich vor allem deswegen nicht besuchen, weil dort gerade mal zwei Frauen sprechen – nur eine davon steht allein auf der Bühne. Die üblichen Entschuldigungen lauten:
-         „Wenn sich nun mal nicht genügend Frauen bewerben…“
-         „Wir haben eben viele Männer mit interessanten Themen…“
-         „Das macht doch keinen Unterschied!“
Derlei Entschuldigungen kann man nicht gelten lassen. Vielleicht muß man das gute alte „Call for papers“-Verfahren grundlegend ändern. Ich habe auf der Skepkon 2013 gesprochen, wäre aber nie darauf gekommen, wenn man mich nicht – am Skeptikerstammtisch – darauf angesprochen hätte, ob ich mir das vorstellen könne. Vom CFP für die diesjährige Konferenz habe ich nicht einmal etwas mitbekommen, sonst hätte ich mich wohl beworben. Hier könnte man gezielt Frauen ansprechen und zur Teilnahme auffordern: es gibt wirklich genug Bloggerinnen, Autorinnen und auf andere Weise in Erscheinung tretende Frauen, die man hierfür hätte „rekrutieren“ können. Und die vielleicht von alleine nicht auf die Idee gekommen wären, dafür „qualifiziert“ zu sein.
Sicher ist es für viele Frauen kein Anreiz, in diese Männerdomäne hineinzuplatzen und sich vor den fast ausschließlich männlichen Sprechern (und mehrheitlich männlichen Zuschauern) beweisen zu müssen. Dieses Selbstbewusstsein nennt nicht jede Frau ihr eigen – zumal auch gerne mal, wie ich am eigenen Leib erfahren durfte, auf das Aussehen reduziert wird, was bei den Y-Chromosom-tragenden Kollegen eher selten geschieht.
James Randis „Amazing Meeting“ läuft schon lange erfolgreich mit einer 50%igen Sprecherinnenquote: durch die hohe Anzahl an Sprecherinnen fühlen sich viel mehr Frauen ermutigt, selbst aufzutreten und, viel wichtiger: sich mit solchen Themen überhaupt zu befassen. Sicher haben viele Frauen auch eine andere Art und Weise der Aufarbeitung und Präsentation solcher Themen, die für einen Verein, der in hoher Zahl weiße Männer mittleren Alters angehören, reichlich frischen Wind bereithalten könnte.
Ein weiteres Symptom dessen, was hier schief läuft, ist, daß sich im GWUP-Vorstand eine einzige (!) Frau befindet…


 Was ich auch sehr schwierig finde, ist die Tendenz, das Zweifeln zum Dogma zu erheben, die ich v.a. unter GWUP-Mitgliedern bemerkt habe. Bitte nicht falsch verstehen: einen gesunden Zweifel allem gegenüber, was nicht belegt, nicht belegbar und nicht widerlegbar ist, halte ich für richtig, ja, sogar für notwendig. Allerdings bin ich davon überzeugt, daß der Skeptizismus auch davon lebt, sich von Belegen überzeugen zu lassen. Ich gehe mit einer grundlegenden Offenheit an neues heran und versuche, Voreingenommenheit („Bias“) zu vermeiden. Würden unabhängige Untersuchungen zum Thema Homöopathie plötzlich mit einer Reihe plausibler Erklärungen, eindeutiger Daten bezgl. ihrer Wirksamkeit und Erläuterungen darüber aufwarten, weshalb die jahrelang betriebene Forschung keine brauchbaren Belege produzieren konnte, würde ich meinen Standpunkt zugunsten der Homöopathie nach eingehender Prüfung ändern. Ich fürchte, das könnten nicht viele von sich behaupten, ist doch die liebgewonnene Meinung ein fester Bestandteil der Identität geworden. Bestandteil meiner Identität jedoch ist das intellektuelle Instrumentarium des Skeptizismus, des Hinterfragens – nicht dessen Ergebnisse, denn diese können sich ändern.
Mein Lieblingsbeispiel hierfür ist Meditation. Nachdem ich mich umfassend über (Achtsamkeits-)Meditation informiert habe, bin ich selbst begeisterte Praktizierende geworden. Auch Yoga mache ich sehr gerne. Doch dafür wurde ich in Skeptikerkreisen bisher ordentlich angefeindet. Warum? Weil es erstmal nach Esoterik klingt, klar. Da greift dann der Skeptiker-Reflex: anstatt nach Belegen zu fragen, derer es zahlreiche gibt, wird erstmal gegiftet. Meditation kann eine signifikante Umorganisation in der neuronalen Struktur des Gehirns bewirken – zahlreiche klinische Studien belegen einen positiven Effekt auf die psychische Gesundheit von Angst-, Zwangs- und Depressionspatienten. Zudem wirkt die Achtsamkeitsmeditation schlichtweg entspannend.
Genauso verhält es sich mit Yoga: dieses kann man gänzlich unesoterisch betreiben. Der Körper wird gefordert und die gezielte Atmung fördert die Entspannung (so aktiviert beispielsweise die verlängerte Ausatmung den Vagusnerv, was zu einer Senkung der Herzfrequenz führt). Dem Interessierten möchte ich an dieser Stelle Literatur von Ulrich Ott ans Herz legen, der beispielsweise im Buch „Meditation für Skeptiker“ sehr mühevoll Studie an Studie reiht und streng wissenschaftlich argumentiert. Hier jedoch grundsätzlich eine ablehnende Haltung obwalten zu lassen ist genau das, was Skeptizismus nicht sein soll. Gefragt ist eine aufmerksame Introspektion, ein konsequentes Hinterfragen der eigenen Denkweise und Motive, um nicht auf den inneren Dogmatiker hereinzufallen. Leider sind sich viele dessen nicht bewusst.

Zuletzt noch ein Wort zur Öffentlichkeitsarbeit. Die Skeptiker mögen es gerne sachlich, faktenbezogen und nüchtern. Die Öffentlichkeit nicht. „Preaching to the choir“ ist zwar eine gemütliche Sache, bringt aber genau – der werte Leser ahnt es bereits – nichts. Sich vor eine Horde skeptischer Menschen zu stellen und zu erzählen, weshalb TCM doof ist, um ein paar nickende Köpfe und rauschenden Beifall zu ernten ist zwar bequem, aber von geringem kommunikativem Wert. Klar werde ich das auch weiterhin tun, um Menschen, die denken wie ich, Informationen zu liefern und Argumente an die Hand zu geben, aber ich halte dieses Konzept für schwierig und allenfalls einer „Mia san mia“-Mentalität zuträglich. Wenn man aber Dinge verändern will, muß man ordentliche Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Und das funktioniert nicht mit einer trockenen Aneinanderreihung überzeugender Daten – selbst wenn sie noch so laienverträglich formuliert. Da muß die Skeptikergemeinde noch vieles lernen und nicht jeden verurteilen, der auf Populärmedien ausweicht. (Aber dafür sindwir ja da…). Auch interaktive Veranstaltungen mit Esoterik-Aficionados und Gläubigen so wie Fence-sittern halte ich für sinnvoll – denn nur hier kann man Menschen noch davon überzeugen, daß ein von ihnen vertretener Standpunkt vielleicht doch eher Unsinn oder eine Idee, mit der sie seit einer Weile flirten, argumentativ nicht haltbar ist.


 Alles in allem müsste die Skeptikergemeinde einige Veränderungen durchlaufen, ehe ich einer solchen Organisation beitreten würde. Ein klares Bekenntnis gegen Religion und alles Nicht-Falsifizierbare; ein klares Bekenntnis zu Frauen und aufrichtige Anstrengungen, das weibliche Geschlecht aktiv in die Skeptikerreihen einzugliedern; kontinuierliche Selbstreflexion und eine Verjüngungskur inkl. Dialog-Orientiertheit und wirksamer Öffentlichkeitsarbeit. Das wäre doch schön. 

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