Ich rege mich oft auf, jedoch nicht besonders gerne: die Welt lässt mir ja keine Wahl. Und seitdem wir digitales Fernsehen zuhause haben, lässt sie mir noch ein bisschen weniger Wahl. Der Grund dafür ist AstroTV – ein Sender, den ich mir gleichermaßen verstört wie fasziniert immer dann betrachte, wenn ich keine Angst vor meinem Greisen-Ich habe, das auf dem Sterbebett die damit verschwendete Lebenszeit beklagt. Um Gerontenclaudia ein wenig zu besänftigen, fühle ich mich verpflichtet, wenigstens einen Beitrag über den kreischenden Irrsinn zu verfassen, der mir da bei jeder „Session“ entgegenschlägt.
AstroTV ist ein Privatsender, der die Welt seit dem Jahr 2004 „bereichert“ und hauptsächlich Esoterik- und Astrologietanten, selten auch –onkeln, die Gelegenheit verschafft, ihre gesammelten Psychokokken auf die Zuschauer loszulassen. Ich habe dabei zwei Gruppen von „Hellsichtigen“ und „Medien“ ausgemacht, die sich unterscheiden lassen: zum Einen die völlig Verstrahlten und in ihrer vermutlich drogeninduzierten Welt gefangenen Irren, die von Oliver Kalkofe phantastisch parodiert werden (siehe hier), zum anderen die skrupellosen, zynischen Geschäftemacher. Auf ein Paradebeispiel für diese Gruppe möchte ich später im Beitrag eingehen.
„Du gehst in eine große Zufriedenheit“
AstroTV hat, soweit ich das verfolgen konnte, zwei wichtige Programmblöcke: den Shop und die Live-Beratung. Letztere ist vermutlich lukrativ, kostet doch ein Anruf 50 Cent – und die Astro-Elsen werden auch nicht müde, die Zuschauer dazu aufzufordern, sich einzuwählen und der Macht des „Zufallsgenerators“ zu unterwerfen. Oft werden minutenlang die Anrufe unterdrückt, so daß es den Anschein erweckt, daß niemand dort momentan durchrufe und die Chancen, sich einzuwählen, nun besonders hoch seien – ein leicht durchschaubarer Trick, aber offenbar nicht für die Zuschauer von AstroTV. Ebenso „raffiniert“ mutet das Beratungskonzept an: Wünsche ans Universum über Heilsteine, Zukunftsaussichten über Tarotkarten, Persönlichkeitsanalysen über astrologische Methoden. Allen Beratungsarten ist gemein, daß sie auf milden Versionen des Cold Reading basieren: den BeraterInnen ist natürlich klar, daß die meisten Kunden anrufen, weil sie sich Rat in einer hoffnungslosen Situation erhoffen. Meist betrifft das Liebe oder Finanzen, so werden diese Felder auch als erstes abgearbeitet und die Anruferin (in den allermeisten Fällen handelt es sich um Frauen in den Fünfzigern) ist erstaunt ob solcher „Hellsichtigkeit“. Dann werden meistens Allgemeinplätze abgegrast, Dinge wie „Du tust Dir zu wenig Gutes“, „Du wehrst Dich zu selten“ oder „Du warst immer wenig selbstbewusst“ – Dinge, die viele Menschen bejahen würden und die zudem verstärkt zu dem psychischen Profil der Anrufergruppe passen dürften. Zu diesen ganzen Floskeln gesellen sich entweder willkürliches Kartenwerfen, Omm-Gesänge, Energie-Übertragungs-Aerobic oder Heilsteinroulette, und schon ist der Eindruck der hellsichtigen, warmherzigen und weisen Abgesandten einer anderen Dimension perfekt. Zumindest für diejenigen, die es glauben wollen und bereit sind, ihr letztes Geld für ein wenig Hoffnung in den Rachen der Redaktion zu werfen.
Merlins Delphine aus Atlantis
Die erste Frage, die ich mir gestellt habe, als ich mich zum ersten Mal mit dieser grotesken Anderswelt beschäftigt habe, war diejenige, ob die Berater, die meist irgendwelchen nutzlosen Talmi (wertloser Schmuck oder gravierte Glasquader), den sie selbst „geweiht“ oder „energetisiert“ haben, nach ihren Beratungen im Shop verkaufen, selbst eigentlich glauben, was sie da in den Äther absondern. Wenn ja, so wird mir ganz anders – es ist ein nicht ganz ungefährliches Konzept, Dinge zu glauben und vehement zu vertreten, für die man nicht nur keine Belege hat, sondern die auch dem eigenen Kopf entspringen. Einfach ein paar Worte aus dem Esoterik-Bingo genommen (Energie, Quanten, Schwingung, Tachyonen, Matrix, Orgon, Aura, Chakra, Prana, Indigo, Kristall, Schamane, Photonen, Heilung, Wunder, Zauber, Clearing, Sterne…) und in den Mixer geworfen, schon hat man verstanden, wie die Welt funktioniert und ist der Meinung, die eigene Deutung sei die einzig richtige. Ähnliche Ansätze, basierend auf einer Unfähigkeit, den „Reality Check“ zu vollziehen – was an der evidenzlosen Hinnahme von Behauptungen liegt, zeigen religiöse Fundamentalisten. Eine Denkweise, die im schlimmsten Fall dazu führt, daß Menschen sich in die Luft sprengen. Das scheint mir typisch zu sein für eine Zeit, in der sich der Westen so sicher wähnt in der postaufklärerischen Episode, daß er gar nicht merkt, wie sehr er gerade zurück ins Mittelalter wandelt, wo man Klerikern und Quacksalbern wieder zuhört und sie reich macht.
Doch auch die zweite Möglichkeit nährt nicht gerade meine philantropischen Neigungen: die Vorstellung, wie jemand sich ein völlig absurdes Weltbild zusammenschustert, das er selbst als irrsinnig versteht, aber auch sieht, daß es sich gewinnbringend an Bedürftige verkaufen lässt, versetzt mich in Wut. Unlängst sah ich eine alte Bekannte aus der Premium-Knallchargen-Sammlung von AstroTV: Ariane Le Clerk ist der Name, und vielen Skeptikern dürfte sie bekannt sein, da sie einst versuchte, Plüsch-Energiedelfine(aus Atlantis, natürlich - mit dem Atlantis-Matrix-Quantenheilungscode) an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Damals dachte ich schon, das sei der Gipfel der Verrücktheit, doch mit ihrem neuerlichen Rundumschlag gegen den gesunden Menschenverstand hat sie mir zu verstehen gegeben, daß niemand, der nicht besser in einer geschlossenen Anstalt aufgehoben wäre, so etwas glauben kann. Zuerst saß das angemoppelte Medium selbstgefällig da und und beriet Zuschauer. Dabei wedelte sie mit einem länglichen, metallischen Gegenstand mit farbiger Glasspitze herum und verteilte allerlei Segenswünsche. Später identifizierte sie ihre Tischdekoration als „geweihte Kerzen aus Avalon“ und ihre Methode als „Star Clearing“, denn die Metallphallen sollten der Sternenlichttherapie dienen, die sie als „einziger Mensch auf der Welt“ beherrsche. Öfter mal redete sie mit ihrem Kumpel Merlin, der ihrer Angabe nach neben ihr stand und den geweihten Sternenlichtstangen Merlins Licht verleihe. „So kämpfe ich für meine Zuschauer!“, ließ sie immer wieder verlautbaren, nachdem sie in einem gespielten Streit mit der Regie noch ein paar verlängerte Einzelgespräche herausgeschlagen hatte. Im Angebot waren daraufhin entweder zwei Starclearings oder ein konkreter Rat von Merlin. Nach dieser bizarren Scharade war Frau Le Clerk im Shop zu sehen, wo sie neben dem göttlichen atlantischen Dreieck und dem Avatar Protection Elixir auf die Sternenlichttherapiestängel zu verkaufen gedachte (nur 130 Euro pro Stück, kaufen Sie am besten alle sechs!). Diese habe sie „unter Einsatz ihres Lebens“ in England, in Merlins Höhle, energetisiert. Doch keine Sorge, auch die Zuschauer, die ihre Stäbe vor der Reise nach England erworben hatten, könnten diese noch energetisieren lassen: am fünften jedes Monats, zwischen 22 und 23 Uhr, würden sich die Stäbe mit dieser Merlin-Energie aufladen. Zum Glück!
Falls Sie, verehrter Leser, sich fragen, was es mit den verschiedenen Lichtfarben auf sich hat, so schafft Frau Le Clerks mit Rechtschreibfehlern gespickte Homepage Abhilfe: dieses Licht ist kein normales Licht; es ist „mit den alten, geheimen Codierungen aus Atlantis und den Sternen verbunden“. Der auserwählte hohe Rat aus Atlantis stehe für die Sternkonstellationen Pate, lässt die gute Ariane uns wissen.
Die fünfte Dimension des Wahnsinns
Zum Abschluß wurde noch angekündigt, daß am 23.12.2013 die fünfte Dimension in diese Welt integiert werde. Auf ihrer Facebook-Seite tat sie Folgendes kund::
Entweder, das ist klinischer Wahnsinn oder auf widerwärtigste Art skrupellose Geschäftemacherei. Für letzteres sprechen die vielen auf ihrer Homepage abgedruckten Dankesbriefe, die sie in den höchsten Tönen loben und irgendwie klingen, als seien einige davon von ein- und derselben Person geschrieben, die merkwürdigerweise die gleichen Rechtschreibfehler macht wie Frau Le Clerk selbst in ihren Texten… merkwürdig, nicht wahr?
Neben aller Kritik, die man an Astrologie an sich üben kann (ist das System noch intakt, wo Pluto doch kein Planet mehr ist? Wieso haben willkürlich ausgewählte, völlig verschiedenartige Objekte am Himmel [Planeten, Sterne, Monde...] eine Wirkung auf den Menschen? Wie erklärt sich, daß es keine stichhaltigen Beweise für diese Lehre gibt? Wird nicht auch hier mit Allgemeinplätzen und Suggestionen gearbeitet?], ekelt mich diese Geschäftemacherei am meisten.
Für mich wäre es vermutlich ein leichtes, mit entsprechendem Esoterik-Wortschatz-Bingo und freundlichem, gewollt-mysteriösen Auftreten viel Geld zu scheffeln und mich als Medium zu betiteln (wobei es wenig geheimnisvoll anmutete, als kürzlich eine stark schwäbelnde Tarot-Tante kundtat, daß sie in Wirklichkeit Fleischereifachverkäuferin sei), doch mir steht dabei etwas Entscheidendes im Weg: mein Gewissen. Ich brächte es nicht übers Herz, finanz- und verstandesschwache Menschen in Nöten derartig aufs Korn zu nehmen und dafür Geld einzustreichen. Ihnen falsche Versprechungen zu machen, auf die sie sich dann verlassen und ihr Handeln dementsprechend und mit ggf. schlimmen Folgen modifizieren.
Ich bin nicht einverstanden.
P.S.: Warte auf einstweilige Verfügung oder Klage. In 3, 2, 1, ...